Umgangsrecht auf Kindeswohlebene oder: Das Dilemma des redegewandten Kindes im Umgangsrechtsverfahren

Umgangsrecht. Nervenzehrend, hoch emotional, langwierig und - mit Verlaub - für einen Anwalt nicht das lukrativste Mandat. Wenn Kinder im Spiel sind, wird es schwierig, so sagt man. So schön es auch ist - und das kann ich als zweifacher Familienvater durchaus sagen - Kinder in die Welt zu setzen und diesen beim Aufwachsen zuzusehen, erfordert die Erziehung von Kindern extrem viel Zeit und Geduld. Toll, wenn man sich diese Aufgabe als Eltern teilen kann. Dies ist auch die Idee des Gesetzgebers: Die Eltern haben die Pflicht und das Recht für das minderjährige Kind zu sorgen, § 1626 BGB. Was passiert nun aber, wenn die Eltern sich scheiden lassen oder von vornherein gar nicht verheiratet waren? Aus Eltern werden dann einzeln Sorgeberechtigte und es muss eine Lösung hinsichtlich des in diesem Artikel außen vor gelassenen Sorgerechts und des Umgangsrechts mit den Kindern getroffen werden und zwar schnell, kostengünstig und vor allem fair für beide Parteien.

In zahlreichen Scheidungen, die ich anwaltlich begleitet habe, gab es laut meiner Erinnerung einen einzigen Fall, in dem das Gericht keine Umgangsregelung für die Eltern treffen musste, weil sich die Eltern selbst einigen konnten. Dies zeigt, wie streitbehaftet das Thema ist.

Berichten möchte ich in diesem Zusammenhang von einem mir immer häufiger auftretenden Problem. Ich nenne es an dieser Stelle einfach mal verkürzt „Das Dilemma des mündigen (unjuristisch) Kindes“. Das Problem tritt eigentlich immer auf, wenn das Kind in einem Alter ist, in dem es zwar noch nicht eigene Entscheidungen treffen kann und darf, aber durchaus in der Lage ist, seine Wünsche und Bedürfnis konkret und glaubhaft zu äußern. Wir sprechen also von einer Altersspanne zwischen sechs und zehn Jahren. Hintergrund des Problems ist eine Misere, mit der in erster Linie die Gerichte zurecht kommen müssen. Es wird gebetsmühlenartig betont, dass Grundlage einer jeden Entscheidung das Kindeswohl sein müsse. Auch dies steht freilich im Gesetz: Soweit nichts anderes bestimmt ist, trifft das Gericht in Verfahren über die in diesem Titel geregelten Angelegenheiten diejenige Entscheidung, die unter Berücksichtigung der tatsächlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten sowie der berechtigten Interessen der Beteiligten dem Wohl des Kindes am besten entspricht, § 1697a BGB. Gleichzeitig aber muss das Sorgerecht eines jeden Elternteils berücksichtigt und respektiert werden. Was tut man aber nur, wenn sich die Eltern nach ewiger Verhandlung auf eine Umgangsregelung geeinigt haben, das betroffene Kind aber nach einer Zeit unmissverständlich zu verstehen gibt, es möchte den Umgang mit einem Elternteil nicht mehr, aus welchen Gründen auch immer. Der erste Einwand der Gegenseite ist natürlich immer: Manipulation durch die gegnerische Partei! Mag das in vielen Fällen vielleicht sogar zutreffend sein, macht man es sich in vielen anderen Fällen allerdings zu einfach. Man verkennt dabei den ausdrücklichen Kindeswunsch. 

In einem Fall wehrte sich das Kind wortwörtlich mit Händen und Füßen davor, das Umgangswochenende mit seinem Vater anzutreten. Die Konzentration unmittelbar vor und nach den Umgangswochenenden lässt erheblich nach, aggressives und teilweise selbstverletzendes Verhalten sind an der Tagesordnung. Der Kindsvater besteht jedoch - insoweit verständlich und nachvollziehbar - auf seine Umgangszeiten. Verfahrensförderliche Mittel wie die Bestellung eines Verfahrensbeistands, die Hinzuziehung des Jugendamtes, die Einschaltung eines Kinderpsychologen, gemeinsame Beratungsstunden der Eltern, Umgangspflegschaft etc. waren fruchtlos ausgeschöpft. Das betraute Familiengericht fuhr nach unzähligen Verhandlungen immernoch die Linie, auf die Eltern einzuwirken und diesen aufzugeben, die Kommunikation untereinander zu verbessern. Jugendamt und Verfahrensbeistand waren mit ihrem Latein am Ende.

Liebe Leserschaft, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich habe höchstes Verständnis für die Situation des Kindsvaters. Die Kindsmutter hinterlässt dieses Problem allerdings rat- und hilflos, denn sie hat nun zwei Möglichkeiten: Entweder sie zwingt das Kind gewaltsam - und dies ist durchaus wörtlich zu verstehen - zu den Umgängen mit dem Kindsvater mit der Folge, dass das Kind bösartig ihr gegenüber wird, was wiederum unmittelbar Auswirkungen auf die Bindung zwischen Mutter und Kind hat, oder sie sieht sich Zwangsgeldanträgen noch und nöcher ausgesetzt, die sich irgendwann in Ordnungshaftanträge umwandeln. Eine langfristige Lösung ist dies mit Verlaub nicht. 

In meinen Augen ist der einzig richtige Weg in dieser Situation, das Umgangsrecht zeitweise auszusetzen und diese Zeit intensiv zu nutzen, dem Kind die Wichtigkeit und die Notwendigkeit der Umgänge nahe zu legen. Hierbei soll und muss auf professionelle Hilfe in Form von Familientherapie etc. zwingend zurückgegriffen werden. Streitigkeiten zwischen den Eltern dürfen hierbei keinerlei Gewichtung einnehmen und - denn so will es das Gesetz - das Kindeswohl muss an erster Stelle stehen.


Rechtsanwalt S. Zander



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