Der Wille des Mandanten ist unantastbar oder: Eine teuer erkaufte „Sowieso-Rechtsfolge“
Skurrile Situationen erlebt man im Gerichtsalltag häufiger, als man von der klischeebehafteten, staubigen und bierernsten Jurisprudenz erwarten würde. Eine besonders erstaunliche Prozesssituation im Rahmen einer meiner jüngeren Mandate, ließ mich dann aber doch besonders irritiert zurück.
Der Sachverhalt bot kein Raum für große Streitigkeiten:
Pachtverhältnis, hohe Pachtschulden, fristlose Kündigung, Räumungsklage. Die
Pachtschulden wurden zwar in der Zwischenzeit gezahlt, allerdings führt dies
bei einem gewerblich gemieteten Objekt nicht automatisch zur Unwirksamkeit der
Kündigung. § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ist nur auf Wohnraummiete anwendbar. Nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Pächter noch nicht einmal abgemahnt
werden. Egal, wie man es dreht und wendet: Die fristlose Kündigung war wirksam,
die Räumungsklage folglich begründet. Selbst der gegnerische (Fach-)Anwalt sah
sich nicht berufen, den klägerischen Vortrag großartig zu bestreiten oder
Einwände vorzubringen, sondern beschränkte sich von vornherein auf eine
Verzögerungsstrategie, was ihm gewissermaßen auch zeitweilig gelang. Egal, es
sei ihm gegönnt. Toll, denkt man sich da, gerade als junger Anwalt. Ein
stattgebendes Urteil zeugt von guter Arbeit, freut die Mandantschaft und ist gut für die Statistik und
Reputation. Im Termin der mündlichen Verhandlung
kam es wie erwartet zu dem gerichtlichen Hinweis, dass die Klage wohl Erfolg
haben dürfte, ob es aber dennoch Möglichkeiten einer gütlichen Einigung gäbe.
Selbstbewusst ob der klaren Rechtslage wurde dies selbstverständlich verneint,
warum solle man auch seine einwandfreie Rechtsposition aufgeben um der
Gegenseite irgendwelche Gefallen zu tun?
Man unterbrach auf Wunsch meines Mandanten die Verhandlung. Man habe Fragen. Er fragte mich, wie es denn nun weiter ginge und ob er denn dann morgen den Pächter vor die Tür setzen dürfe. Und hier fing dann leider das Problem an, welches in ähnlichen Formen in vielen Konstellationen in einem bürokratisierten Land wie Deutschland aufzufinden ist. Ohne Zeugnis, kein Abschluss. Ohne Dokumente, keine Handlungen. Ohne Urkunden, keine Ansprüche. Ohne Antrag, keine Rechtsfolge. Ich musste ihm bedauerlicherweise erklären, dass man nun erst auf das Urteil warten müsse, denn ohne Urteil kann man selbiges auch nicht vollstrecken. Auf seine Frage, wann es denn verkündet und zugestellt werden würde, musste ich ihm die ernüchternde Nachricht vermitteln, dass dies gut und gerne einen weiteren Monat dauern könnte. Dies dauerte ihm allerdings eindeutig zu lange. Weiter musste ich ihn pflichtgemäß darüber belehren, dass der gegnerische Anwalt durch Einlegung einer Berufung oder Beantragung eines Räumungsschutzes seine Verzögerungsstrategie weiter fortführen könnte und wird, dies hat er bereits breitbrüstig angekündigt.
Am Ende nahm man einen vierstelligen Betrag in die Hand und einigte sich vergleichsweise auf einen früheren Auszug.
Der Fall eignet sich um zwei Dinge ganz deutlich
darzustellen: Erstens ist selbst ein stattgebendes Urteil nicht immer mit dem
eigentlichen Ziel des Mandanten vereinbar. Das Interesse des Mandanten ist jedoch
stets an erster Stelle zu stellen und danach ist konsequent zu handeln, auch
wenn es unter dem Strich teurer ist. Zweitens - und dies wird wenige
überraschen - ist es für finanzstarke Mandanten leichter, ihr eigentliches Ziel
zu erreichen. Man erkauft sich gewissermaßen das, was das Gericht ohnehin ausgeurteilt hätte, man erhält es nur eben deutlich früher. Pecunia mundum regit - hin und wieder eben auch in der Justiz.
Rechtsanwalt S. Zander
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